Programmieren lernen?

Als 2016 die damalige  Bundeskanzlerin gefragt wurde, was denn SchülerInnen können sollten, antwortete sie: "Lesen, Rechnen, Schreiben und - äh - Programmieren natürlich". Wir gehen im Folgenden mal davon aus, dass sie damit nicht das reine Anwenderwissen von Office-Suites meinte. Oder vielleicht doch?

Also jetzt: nach Integration, Inklusion und Gutes Benehmen ein weiteres Schulfach "Programmieren"?

Die Forderung der damaligen Kanzlerin würde sich in kultusministeriellem Pädagogendeutsch etwa so oder ähnlich anhören: "Die SuS (Für nicht eingeweihte Leserinnen: Schülerinnen und Schüler) sollen lernen, Befehlsfolgen in einem digitalen Gerät so zu erstellen, dass dieses Gerät gesteuerte Aktionen ausführen kann."

Mit dieser allgemeinen Formulierung wird schon von Vornherein ein Missverständnis zementiert, der sich bis in Wikipedia hineinzieht: Programmierung als Vorgang der Softwareentwicklung.

Dass nicht nur bei der Bearbeitung von digitalen Geräten programmiert wird, macht ein Gegenbeispiel deutlich: der Aufbau einer analogen Modelleisenbahn: Wenn ich sie so aufbaue, dass bei Annäherung eines Zuges eine Schranke runter geht und gleichzeitig ein Signal auf Rot gesetzt wird und in der Folge damit ein Gegenzug angehalten wird, dann ist das auch eine Programmierung eines Systems. Es ist allerdings Programmierung eines analogen Systems. Das gemeinsame Merkmal von analog und digital ist: Es gibt eine Abfolge von Befehlen, die streng logisch abgearbeitet werden.

Diese Fehlinterpretation des Vorgangs der Programmierung hat einige Konsequenzen für die Schulentwicklung:

  • Für den schulischen Bereich wird immer mehr gefordert, digitale Geräte anzuschaffen, damit SuS logisches Denken lernen. Damit wird ein immer stärker wachsender Markt in der Schulausstattung gefördert, es wird also auch eine Wirtschaftsförderung betrieben.
  • Die Fokussierung auf Programmierung von digitalen Programmen als das Allheilmittel um logisches Denken zu lernen, lässt andere Bereiche, in den denen stringente Logik erforderlich ist (Mathematik, Physik,...) in den Hintergrund treten. Das geht sogar soweit, dass behauptet wird, dass digitales Programmieren Denkweisen und grundlegende Fähigkeiten zur Problemlösung fördere, wie sie in keinem klassischen Schulfach unterrichtet werden könnten.
  • Das Fach "Informatik" wird auf bloße technische Fähigkeit des Erstellens von Programmen reduziert. Die wissenschaftlichen Grundlagen wie Sprachtheorie, Turingmaschine, Grenzen der Berechenbarkeit oder auch Turingtest fallen unter den Tisch.

Welche Gründe könnten für diese Entwicklung vorliegen?

"It's the economy, stupid!"

Vermeintlicher Qualifizierungsbedarf

Die Entwicklung der Fähigkeiten, logisches Denken auf die Anwendung in digitalen Geräten zu reduzieren, zielt auf den vermeintlich großen Bedarf der Wirtschaft an ausgebildeten digitalen Programmierern. Ob dies allerdings so in fünf Jahren noch sein wird, kann angezweifelt werden. Denn: wo werden heute schon die angeblich fehlenden Fachkräfte eingesetzt? Kann ein lineares Fortschreiben des gegenwärtigen Bedarfs die reale Entwicklung tatsächlich treffen?

Welche Entwicklungen wird es in der Softwareerstellung gegen? Als Stichworte seien hier nur genannt das Outsourcing reiner Programmiertätigkeiten und die Weiterentwicklung von Programmiersprachen zu grafischen Programmiertools..

Absatzbedürfnis der Pädagogikindustrie

In 2016 hat die Bildungsministerin Wanka fünf Milliarden Euro für die Anschaffung neuer Geräte in den Schulen angekündigt. Wer wollte da nicht ein Stück von dem Kuchen abhaben? Dass allerdings diese angekündigten fünf Milliarden nicht im kommenden Haushalt 2018 auftauchen, hat Gründe: Diese Mittel waren verbunden mit der Aufforderung an die Länder, die Lehrpläne entsprechen zu überarbeiten und die notwendigen Lehrerqualifikationen durchzuführen. Dazu aber waren die Länder entweder nicht bereit oder in der Lage.

Zum Schulalltag - informationelle Selbstbestimmung

Häufig werden folgende Ziele für den Programmierunterricht in der Grundschule genannt:

  • Logisches Denken
  • Kreativität
  • kommunikative Fähigkeiten
  • Eigenständigkeit
  • forschendes Denken
  • Kritikfähigkeit

Die neuesten Rufe aus der Bildungslandschaft zum Thema "Programmieren lernen in der Grundschule" kommen unter anderem vom Projekt "Calliope".

Ziel dieses Projektes ist, dass alle Schüler ab der 3. Klasse einen Minirechner namens "Calliope" erhalten und damit das Programmieren lernen. Die Initatoren dieses Projektes versprechen sich \"besser ausgebildete Schulabgänger/innen, aber auch "kritischere und souveräne Nutzer/innen der neuen Technologien, die sowohl Begeisterung für die Möglichkeiten als auch ein Gefühl für die Gefahren vermittelt bekommen haben."

Da stimmt schon vieles: Es ist schon ungeheuer motivierend, mit Kindern an Programmen wie Kara, Turtle oder Calliope zu arbeiten und zu sehen, wie sie Problemstellungen sehr kreativ und auf unterschiedliche Weise lösen. Und eine Platine in der Hand zu halten eröffnet eine neue, weniger verstellte Sicht auf die Geräte, die sonst so im Verborgenen arbeiten. Es bestätigt sich auch, dass Programmieren ganz offensichtlich das logische Denken fördert. Und da mögen die kulturkritischen Zeigefingerhochhalter noch so meckern: Programmieren ist eine äußerst kreative Tätigkeit. Solche Angebote an Kinder und Jugendliche sollte daher intensiv ausgebaut werden. Sie vermitteln Kulturtechniken, die für unsere Gesellschaft grundlegend sind. Der spielerische Umgang mit einem Kleinrechner kann auch Mystifzierungen negativer oder positiver Art gegenüber den Informationstechnologien abbauen.

Aber flächendeckend an den Grundschulen? Wohl kaum realisierbar.

Schulprobleme

Warum kann das in der Schule nicht gelingen:

  • Häufig stimmen die technischen Rahmenbedingungen nicht. In der Regel gibt es in den Schulen keine Systemadministration. Das führt dazu, dass viele Geräte nicht oder nur fehlerhaft arbeiten, die Netzanbindung klappt häufig nicht, die Ausstattung ist dermaßen veraltet, dass Anforderungen moderner Software nicht erfüllt werden.
  • Die Situation in den Klassen ist meist geprägt von vielen nebenläufigen Prozessen. In Klassen mit homogener Zusammensetzung ist dies von einer normal ausgebildeten Lehrkraft zu schaffen. Große Klassen potenzieren das Problem (Beispiel. Anzahl der interagierenden Personen ist Fakultät!!). Inklusion und Integration sowie ein immer voller und immer mehr strukturierte Stundentafeln fordern so viel, dass da kaum noch Luft bleibt.
  • Lehrerinnen sind nicht dafür vorbereitet. Sie kennen die beim Programmieren übliche Herangehensweise selten. Probleme, denen sich Lehrer gegenüber sehen, sind nicht algorithmisch in streng logischen Schritten zu lösen. Hier sind Sozialkompetenz, Intuition, Einfühlungsvermögen oder psychologische Fähigkeiten gefordert. Das sich davon unterscheidende Denken in Algorithmen ist für die meisten Lehrer eine neue Sichtweise, die sie nicht kennen.

Informationelle Selbstbestimmung lernen?

Die Initiatoren von Calliope verspechen sich von ihrem Projekt "kritischere und souveräne Nutzer/innen" und "ein Gefühl für die Gefahren\". Das sind dann doch eher cloudige Formulierungen, die wenig über die Bedeutung von Programmierung für einen selbstbewussten Umgang mit persönlichen Daten aussagen.

Sollte es trotz der genannten Hürden gelingen, Programmierung in den Schule zu unterrichten, wird dies nicht ausreichen, um die sogenannten \"Informationelle Selbstbestimmung\" zu erreichen. Wenn ich Kara so programmiere, dass er eigenständig durch ein Labyrinth geht, fällt Informationelle Selbstbestimmung nicht vom Himmel. Und wenn man dann als Entwickler oder Consultant im IT-Bereich arbeitet, ist informationelle Selbstbestimmung nicht das Erste, woran man denkt. Was also geht über die Entwicklung von Steuerungen für digitale Geräte hinaus, was die informationelle Selbstbestimmung ausmacht?

Um zu verstehen, was "informationelle Selbstbestimmung" ist, ist der entsprechende Artikel aus Wikipedia ein guter Ausgangspunkt:

"Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist im Recht Deutschlands das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen. Es ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Datenschutz-Grundrecht, das im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland nicht ausdrücklich erwähnt wird. Der Vorschlag, ein Datenschutz-Grundrecht in das Grundgesetz einzufügen, fand bisher nicht die erforderliche Mehrheit. Personenbezogene Daten sind jedoch nach Art. 8 der EU-Grundrechtecharta geschützt."

Jetzt wird schnell klar, dass Kenntnisse in der Programmierung eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für informationelle Selbstbestimmung ist. Ich kann ein hervorragender Softwareentwickler sein, ohne mir jeweils einen Gedanken über die Persönlichkeitsrechte der Menschen zu machen, die meine Software anwenden oder von ihr erfasst werden.

Wenn man sich bei der Softwareentwicklung nur mit gelungenem Code beschäftigt, ist nicht automatisch klar, was es bedeutet, selbstbestimmt mit Informationen umgehen zu können. Da werden andere als rein programmtechnische Aspekt wichtig, es kommen meine ganz individuellen persönlichen Rechte als Bürger ins Spiel.

Ich habe ein individuelles Recht, meine persönlichen Daten, also Merkmale meiner Persönlichkeit und meiner individuellen Verhaltensweisen und Einstellungen, nicht preiszugeben. In fast jeder AGB eines Internetanbieters verzichtet man ständig auf dieses Recht.

Ich habe ein individuelles Recht, die Verwendung meiner persönlichen Daten, also der Merkmale meiner Persönlichkeit und meiner individuellen Verhaltensweisen und Einstellungen, zu kennen. In fast jeder AGB eines Internetanbieters verzichtet man ständig auf dieses Recht.

Warum wird dieses Recht nicht realisiert?

  • Menschen kennen häufig diese Rechte nicht. Indem von den Internetanbietern und z.T. auch von staatlichen Stellen diese Rechte geleugnet oder bestritten werden, ist ein Bild entstanden, als sei die gängige Praxis rechtens. Sie ist es nicht.
  • Die Menschen wissen nicht, wo ihre Daten landen. Dieses Wissen um die eigenen Daten wird von den Internetanbietern grundrechtswidrig zurückgehalten.
  • Sie wissen nicht, wie ihre Daten verarbeitet werden. Dieses Wissen um die Verwendung persönlicher, individueller Daten wird von den Internetanbietern grundrechtswidrig zurückgehalten.

Sie sind hilflos gegenüber den Erpressungen der Verwendern ihrer Daten. Wenn ich ein Angebot eines Internetanbieters wahrnehmen möchte, bin ich gezwungen, auf meine Grundrechte zu verzichten.

Wenn ich aber gründlicher diesen Verletzungen meiner Rechte nachgehen will, muss ich grundlegende Kenntnisse besitzen, wie Programme erstellt werden. Und an dieser Stelle hat dann ein guter Unterricht in der Schule seinen Platz und sollte umfassend gefördert werden. Unterschieden werden sollte dabei zwischen grundlegenden Kenntnissen in der Verwendung digitaler Mittel und den spezielleren Fähigkeiten der Programmerstellung.

Es ist wie mit dem Auto fahren: Ich muss die Regeln der Nutzung des Autos im Straßenverkehr kennen, es ist aber nicht erforderlich, den Unterschied zwischen dem technischem Aufbau eines Schaltgetriebes und Automatikgetriebes zu kennen. Daher ist es nicht notwendig, dass alle SuS (s.o.) detailliert Kenntnisse in der Programmierung erwerben. Sie sollen allerdings wissen, dass Verfahrensweise (vulgo Algorithmen), wie mit ihren Daten umgegangen wird, nicht vom Himmel fallen, sondern von Menschen gemacht werden. Und dass es daher notwendig ist, dass alle Menschen die Möglichkeit erhalten, in Erfahrung zu bringen, welche Programme welche Daten auf welche Weise verarbeiten.

Warum ist das wichtig?

In der VR China wird jegliches Verhalten in Form von Sozialpunkte bewertet. Dies erfolgt über staatliche Stellen und wird zur Zeit in einer zentralen Datenbank digitalisiert. Aber das ist doch in Europa nicht so. Oder? In Europa findet eine solche staatlich organisierte Bepunktung (noch nicht) zentral statt. Aber es werden von jedem von uns alle Daten eingesammelt, derer sich die Verwender von Big-Data habhaft machen können.

Ein Beispiel:

Es gibt eine ADAC-Untersuchung aus 2015 in der am Beispiel zweier BMW's heraus gearbeitet wurde, welche Daten die Autoindustirie einsammelt. \"Die Zeit\" vom 20. Mai 2015 schreibt dazu: \"Manche Autohersteller haben mehr Informationen über die von ihnen ausgelieferten Fahrzeuge als deren Besitzer. Die Unternehmen haben nicht nur einen ständigen Überblick über den technischen Zustand der Autos; sie wissen auch, wo sich jeder einzelne Wagen befindet, ob er im Stau steht und welche Musik der Fahrer hört.\"

Und wenn dann noch eine Black-Box der Versicherungsindustrie im Auto installiert ist, wie schon mindestens in jedem 7. Fahrzeug in den USA, die jeden Beschleunigungs- und Bremsvorgang sowie die GPS-Ortung aufzeichnet, was bleibt eigentlich noch von der Freude am Autofahren?

Mit der Weitergabe und damit der Zusammenführung dieser Daten erklären wir uns bei jeder Zustimmung zu irgendwelchen AGB\'s einverstanden.

Na und? Ich habe doch nichts zu verbergen! Und wenn ich einen günstigeren Versicherungstarif bei meiner Krankenversicherung bekomme, wenn ich einen Fitnesstracker trage, dann ist das doch gut. Sollen doch die Raucher zahlen.

Wenn jemand Sie auf der Straße anspricht, von Ihnen Namen und Adresse haben will, sie dann weiter fragt, wie viele Geschwister Sie haben, wann und wo sie das letzte Mal Urlaub gemacht haben, ob sie am 3.5.2017 verärgert mit dem Auto gefahren sind, weil die vom Bordcomputer übermittelten Fahrzeugdaten dies nahe legen: Haben Sie dann immer noch nichts zu verbergen?

Es gibt Untersuchungen, die nahe legen, dass Leukämien durch Benzol und durch Rauchen ausgelöst werden können. Wenn jetzt die Krankenkasse feststellt, dass eine Person als Gas- und Wasserinstallateur häufig mit Ölheizungen und Öltanks zu tun hat und dazu begeisterter Oldtimer-Bastler ist: Wie wird der Krankheits-Score dieser Person wohl aussehen, wenn beim Auswerten der Payback-Punkte festgestellt wird, dass sie starker Raucher ist ?

Frage, die sich jeder einzelne stellen muss: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen?

Also - was tun?

Soforthilfe

Zwei grundlegende Hilfsmittel zum Erhalt der informationellen Selbstbestimmung

  • Datensparsamkeit
  • Verschlüsselung.

Und wenn's mehr sein soll:

  • Wenn's nicht unbedingt nötig ist: Kein Facebook-Account. Brauchen wir so viele Freunde und wer ist wirklich einer?
  • Dasselbe gilt für Whatsapp. Wahre Freunde legen sich ein Signal oder -Account zu, wenn sie wirklich mit mir kommunizieren möchten.
  • Muss ich wirklich alle meine Bilder auf Instagram hochladen? Wer kann die sehen und möchte ich das wirklich?
  • No Google! Ich kann auch mit duckduckgo oder metager surfen, die youtube-Filmchen sind auch ohne Youtube-Account zu sehen.
  • Adblocker benutzen. Eine gute Wahl sind dabei Addblock plus oder u-block origin, letzteres etwas für diejenigen, die etwas mehr wissen wollen.
  • Apps für das Smartphone kann man über F-droid installieren, die sind OpenSource, gestetet  und unabhängig von Google.
  • Mail-Provider nutzen, die die Privatsphäre respektieren. Beispiel: posteo.de
  • Im Internet nur auf Seiten surfen, die sicher sind: Kennzeichen ist das 's' in 'https'.
  • Im eigenen Mailprogramm Verschlüsselung integrieren. Mittel der Wahl ist PGP-Verschlüsselung, die z.B. in Thunderbird Standard ist.