Ottilie Normalbürgerin ist von digitalen Geräten umgeben, ja regelrecht umzingelt: Laptops, Smartphones, Smartwatches, PCs, Kameras… . In dieser Totalität digitaler Geräte, der Digitalität, stehen zwei Interessen gegeneinander: der Schutz der persönlichen Privatsphäre gegen die Versuche staatlicher Institutionen und wirtschaftlicher Organisationen, Zugriff auf diese Privatsphäre zu erlangen. Am Beispiel der Chatkontrolle wird der Widerspruch deutlich zwischen der Freiheit des Individuums sowie seines persönlichen Umfelds und der „Freiheit“ staatlicher Institutionen sowie großer Wirtschaftsinstitutionen, über persönliche Daten zu verfügen.
Technik
Schon seit langem stehen „Anbietern von Hosting- oder interpersonellen Kommunikationsdiensten“ (Meta, Google, Amazon oder Microsoft) technologische Mittel zur Verfügung, auf digitalen Geräten Inhalte zu platzieren oder Inhalte von den privaten Geräten auszulesen. Beim Thema Chatkontrolle stehen vor allem das Server-Side-Scanning und das Client-Side-Scanning (CSS) im Vordergrund. Diese Techniken sollen digitale Objekte, also Filme, Bilder, Texte etc. auf unerlaubte Inhalte hin prüfen.
Server-Side-Scanning
Server Side Scanning bedeutet, dass alle zu den Servern der Anbieter hoch geladenen Inhalte auf verdächtiges Material durchsucht werden. Eine Verfahrensweise, die die großen Anbieter wie Google, Meta oder X schon seit geraumer Zeit anwenden. Verdächtige Inhalte werden dann an vertrauenswürdige Organisatione wie das „Nation Center for Missing an Exploited Children = (NCMEC)“ in den USA weiter geleitet. Diese definiert weitgehend, was Missbrauch von Kindern ist und gibt diese Definition auch an europäische Behörden weiter. Ein Problem dabei ist, dass kulturelle Unterschiede in den Definition der „Gefährdung“nicht eingehen.
Dieses Verfahren ist nicht nur negativ zu bewerten, denn die Erkennung und Filterung von Schadsoftware wird auf dieselbe Weise durchgeführt.
Client-Side-Scanning
Das Server-Side-Scanning ist nicht geeignet, eine verschlüsselte Übertragung von gefährlich eingestuften Objekten auf einem Endgerät zu untersuchen und zu verhindern. Der einzige Weg, verschlüsselte Kommunikation zu umgehen, ist der Zugriff auf alle Geräte von Nutzenden und die Installation von Programmen, die alle digitalen Objekt auf einem Endgerät analysieren, bevor die Übertragung vorgenommen wird.
Dies kann dadurch geschehen, dass Kennwerte (Hashes) von gefährdendem Material auf die Geräte übertragen werden und dort ein Abgleich statt findet. Es können auch Machine Learning Programme auf den Endgeräten installiert werden, die verdächtiges Material herausfinden sollen.
Auf alle Fälle werde auf den Geräten der Nutzenden die dort vorhandenen digitalen Objekte analysiert.
EU-Gesetzgebung
Gegenwärtig gibt es innerhalb der EU keine gesetzliche Grundlage für Client-Side-Scanning. Aber schon seit 2000 gibt es Vorschläge seitens der EU-Kommission, dies zu ermöglichen. Eine Entscheidung der EU für das Client-Side-Scanning könnte aber wegen der Änderungen in der Zusammensetzung der Kommission erfolgen.
Gesetzgebung in der EU
Um zu verstehen, wie es zum gegenwärtigen (September 2025) Status kommen konnte, muss deutlich werden, wie Gesetze in der EU entstehen.
Es gibt drei Institutionen, die direkt an der Gesetzgebung der EU beteiligt sind:
- Die Kommission: Wird vom Parlament bestimmt und hat als einzige Institution ein Vorschlagsrecht für EU-Gesetze
- Das EU-Parlament wird von Bürgerinnen der EU gewählt.
- Der EU-Rat(Ministerrat) setzt sich auch Regierungsvertretern der EU-Länder zusammen.
Gesetze können gelten nur dann als angenommen, wenn sowohl das Parlament als auch der EU-Rat dem Vorschlag der Kommission zustimmen. Wenn keine Einigung erzielt wird, dann tritt der Trilog in Kraft: Vertretungen von Kommission, Parlament und Rat versuchen eine gemeinsame Linie zu finden.
Vorgeschichte Chatkontrolle
Der DSA (Digital Services Act) ist am 17. Februar 2024 in Kraft getreten und soll die von großen Anbietern veröffentlichten Inhalte regeln
https://www1.wdr.de/nachrichten/digital-services-act-eu-100.amp.
Das Ziel ist „illegale oder schädliche Online-Aktivitäten sowie die Verbreitung von Desinformation zu verhindern“. Ein Bespiel dafür ist, dass die Kommission mit hohen Bußgeldern für X (Twitter) wegen „mangelnde Transparenz bei Werbung und fehlende Unterstützung der Wissenschaft“ droht .
https://www.heise.de/news/DSA-Verstoesse-EU-Kommission-droht-X-mit-Strafe-9799969.html
Überwachung Kommunikation
Schon bei der frühen Verhandlungen zum DSA schlägt die damalige EU-Kommissionarin für Wirtschaft, Ylvar Johansson, 2020 eine Zusatzregelung zum Digital Services Act (DSA) vor. Diese Ausnahmeregelung beinhaltet die allgemeine und anlasslose Überwachung der Kommunikation von Endnutzerinnen durch die großen Anbieter wie Meta, Google oder Microsoft. Verdachtsfälle sollen an ein EU-Zentrum weiter geleitet werden.
Lobbyismus
Im Vorfeld der Erstellung dieser Zusatzregelung gab es schon Gespräche zwischen Johansson mit den großen Techanbietern, zivilgesellschaftliche Organisationen wie EDRI blieben außen vor.
Ashton Kutcher
Einer der wichtigsten Beteiligter an den nicht-öffentlichen Gesprächen war Ashton Kutcher mit seiner Organisation Thorn. Ashton Kutcher kam im März 2023 nach Brüssel und redet vor vielen EU-Abgeordneten. Er stellt Thorn als gemeinnützige Organisation vor, Recherchen belegen aber, dass diese Organisation gewinnorientiert arbeitet.
Chatkontrolle: Hollywoodstar Ashton Kutcher wirbt für Überwachung (Ab Min 12:55 werden die Geschäftsinteressen deutlich, ab 29:10 noch deutlicher die Gewinnorientierung)
Eva Kaili
Am 16.11.2022 fordert die ehemalige Vizepräsidentin es EU-Parlaments, Eva Kaili unverhohlen Kutcher auf, Einfluss zu nehmen auf die Haltung der EU-Abgeordneten. Kaili wurde am 13. Dezember 2022 wegen schwerer Korruptionsvorwürfe in einer anderen Angelegenheit von ihrem Amt abgewählt.
Ylva Johannsen
Die EU-Kommissarin war für die Innenpolitik der EU Kommission zuständig. Sie hat sich sehr häufig mit den Befürwortern der Chatkontrolle getroffen, mit EDRi einer NGO in der 47 Digital- und Menschenrechtsorganisationen organisiert sind, hatte sie innerhalb von drei Jahren keinen Termin vereinbart. Kritiker werfen ihr auch vor, zur Unterstützung der Chatkontrolle Microtargeting und andere indirekte Mittel der Einflussnahme genutzt zu haben.
Kritik
Menschenrechte
Die anlasslose und flächendeckende Überwachung aller Menschen widerspricht den Menschenrechten auf Privatsphäre. Eine solche Überwachung verstößt gegen den Artikel 1 des Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Schutz für Kinder
Der Kinderschutzbund vertritt die Position, dass das „anlasslose Scannen privater Kommunikation in Messenger-Diensten (wie z.B. WhatsApp oder Signal) oder E-Mails … weder verhältnismäßig noch zielführend“ sei. Vor allem betroffene Kinder benötigen einen Schutzraum, in dem sie sich äußern können, ohne von Verfolgung bedroht zu werden.
https://kinderschutzbund.de/wp-content/uploads/2023/02/OeA_Stellungnahme_DKSB_Joachim-Tuerk.pdf
Ausweitung der Überwachung
Wie nicht andres zu erwarten fordert die Europäische Polizei (Europol) unbegrenzten Zugriff auf die erhobenen Daten und möchte noch mehr Informationen erhalten. Es sollen auch andere kriminelle Taten erfasst werden, wobei nicht absehbar ist, wo die Grenzen liegen sollen..
Bessere Wege
Bessere Bildung
Statt rein technischer Lösungen sind Prävention und Aufklärung wesentlich zielführender. Ziel sollte die gemeinsame Information von Eltern, Kindern, Unterrichtenden und Betreuenden sein. Die Medienkompetenz muss erheblich ausgebaut werden und die notwendigen Mittel für die Weiterbildung für alle Beteiligten müssen dafür bereit gestellt werden.
Bessere Polizeiarbeit
Ausstattung der Behörden mit mehr Fachleuten und besserer technische Ausstattung würde die allgemeine Überwachung überflüssig machen. Im Gegenteil befürchte viele Polizeipraktiker wegen der vielen „False Positiv“, also fehlerhafter Meldungen eine Überlastung der Polizei.
Bessere Aufklärung
Ein sehr großer Anteil der sexualisierten Gewalt gegen Kinder findet im Umfeld der Kinder statt. Um dem entgegen zu treten sind digitale Überwachung und anlassloses Scannen vollkommen ungeeignet. In der gesellschaftlichen Diskussion muss Missbrauch von Kindern als soziale Aufgabe und nicht verkürzt als technisches Problem verdeutlicht werden.